Foto: Grillido
In einem schwierigen Umfeld suchen die Hersteller gezielt nach neuen Wegen. Nach fleischlos kommt jetzt eiweissreich.
Auf Wurst trifft vieles zu. Sie kann vielseitig, handwerklich anspruchsvoll und qualitativ hochwertig sein und viele empfinden sie als lecker. Doch als in, modern oder gar trendy gilt sie bisher eher nicht. Das ändert sich gerade. Am SB-Regal zeigt sich etwas, das Branchenexpertin Claudia Wild von der SBW-Fachberatung für Fleischer den «Grillido-Effekt» nennt. So heissen die Würste des gleichnamigen Start-up-Unternehmens, die für frischen Wind in der Branche und im Regal sorgen. Die Bratwürste in fünf Standard-Sorten haben nur rund sechs Prozent Fett, ebenso die Range «Grillido Sport» mit ihren drei Geschmacksrichtungen. Letztere kommen durch Lufttrocknung zusätzlich auf ganze 50 Prozent Eiweissanteil und haben es deswegen als to-go-Snack und deftige Alternative zu süssen Riegeln bis in die Fitnessstudios geschafft. Zudem enthalten beide Produktlinien weder Zusatzstoffe noch chemische Bindemittel und das Fleisch stammt aus artgerechter Haltung.
Acht Millionen Vegetarier und eine Million Veganer
Solche Erfolgskonzepte tun der Branche gut. Veränderte Essgewohnheiten, Kritik an Massentierhaltung und der demographische Wandel haben Spuren hinterlassen. Schätzungsweise rund acht Millionen Vegetarier und mehr als eine Millionen Veganer verzehren in Deutschland überhaupt keine Wurst mehr. Die 42 Millionen Flexitarier haben ihren Konsum deutlich reduziert. Die Folge: Der Wurstmarkt stagniert. Insider gehen davon aus, dass sich das in Zukunft auch nicht mehr ändern wird und rechnen mit einem Verdrängungswettbewerb. Neue Strategien müssen her. Die drei grössten deutschen Fleischhersteller, Tönnies, Vion und Wiesenhof beispielsweise, sind neben vielen kleineren Betrieben in den wachsenden Markt der Fleischersatzprodukte eingestiegen. Andere bleiben zwar beim ursprünglichen Rohstoff, entdecken aber, wie Grillido, ebenfalls «wenig Fett und viel Eiweiss» als Produkt-USP für sich.
Das Interessante daran: Je nach Tierart und verwendetem Teilstück treffen diese Eigenschaften auf Fleisch ohnehin zu. Lebensmitteltabellen wie das Standardwerk «Souci, Fachmann, Kraut» zeigen: In 100 Gramm verzehrfertigem Rinder- und Schweinefilet sowie in Hühnerbrust stecken zwischen zwei und sechs Gramm Fett bei rund 21 Gramm Eiweiss. Warum also sind die neuen Trendwürste trotzdem so gefragt? Weil sie nun ebenfalls diese Eigenschaften aufweisen – im Gegensatz zur konventionellen Variante. Die neue Wurstgeneration schlägt nun also in doppelter Hinsicht neue Wege ein: mit modernen, eiweissreichen Rezepturen, die die Sichtweise der alten Metzgermeister «Geschmack braucht Fett» gekonnt widerlegen – und mit geschicktem Marketing. Dieses geht mit dem Thema offen um und erreicht die neue Zielgruppe, die sich bei Würsten genau das wünscht: «Zusatznutzen wie einen hohen Eiweissgehalt bei vollem Geschmack», erklärt Stephan Holst, Marketingleiter bei Bell. Was eine Herausforderung darstellt, denn Fett ist ein wichtiger Geschmacksträger. Die Produktentwickler haben also einiges zu tun, bis die Nährstoffzusammensetzung stimmt und der Geschmack rund ist.
Snacking und Convenience gefragt
Auch in anderen Bereichen des Fleisch- und Wurstwaren-Sortiments bieten sich für Hersteller und LEH Chancen durch neue Zielgruppen. Denn sie bringen neue Esskulturen mit, worüber sich weitere Verzehranlässe schaffen lassen. Auf Snacking etwa fokussiert sich derzeit Herta Finesse: Wie die zuständige Brandmanagerin der Marke, Stephanie Zängle weiss, nascht fast die Hälfte ihrer Kunden die Geflügelwurst direkt aus der Packung. Zängle sieht hierin Potenzial: Produkt und Verpackungen sollten «praktisch für unterwegs und wie gemacht für junge, mobile Kunden sein, die wenig Zeit haben.»
Produkte für den modernen, aktiven Lebensstil werden also auch in Zukunft gefragt sein. Ebenso solche für Ernährungs- und Gesundheitsbewusste – da ist sich Christopher Klotz, Marketing Manager bei Campofrio, sicher. «Ob sich die neue Wurstgeneration aber als eigenes Produktsegment durchsetzt oder den Status eines ausgelobten Zusatznutzens behält, wird sich zeigen.»
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