Antje Preußker, Wissenschaftliche Leitung des Bundes für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde e. V. (BLL), im Interview
Frau Preußker, Nahrungsergänzungsmittel gehören rechtlich zu Lebensmitteln. Unterliegen sie damit bestimmten Werbebeschränkungen?
Werbeaussagen, egal für welches Produkt, dürfen grundsätzlich nicht irreführend oder täuschend sein. Für alle Lebensmittel vom Apfel bis hin zu Nahrungsergänzungsmitteln gelten zudem strenge Vorgaben für die Auslobung von für die Gesundheit positiven Eigenschaften eines Nährstoffes. Die so genannte Claims-Verordnung stellt sicher, dass solche Angaben nicht willkürlich erfolgen. Eine gesundheitsbezogene Angabe darf nur dann verwendet werden, wenn diese wissenschaftlich geprüft und vom Gesetzgeber zugelassen wurde. Zudem muss der Nährstoff, auf den sich die gesundheitsbezogene Aussage bezieht, in ausreichender Menge in dem Produkt enthalten sein.
Was bedeutet das für das Alltagsgeschäft im Lebensmittelhandel oder in Drogerien?
Der Händler darf nur mit den nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben werben, die der Gesetzgeber zugelassen hat. Das ist immer zu beachten, egal ob die Aussage auf der Verpackung aufgebracht, in begleitenden Informations- beziehungsweise Werbematerialien aufgeführt ist, in eine Webseite aufgenommen oder im Rahmen einer Verkostung im Supermarkt verwendet werden soll.
Darf ein Händler beispielsweise Verkostungen anbieten oder Warenproben verteilen?
Ja, denn es gelten die gleichen Vorgaben wie für andere Lebensmittel auch. Allerdings sind Verkostungen für Nahrungsergänzungsmittel eher uninteressant, weil in der Regel nicht ihr Geschmack im Vordergrund steht, sondern ihr «Zweck». Und der ist immer die gezielte Ergänzung der täglichen Ernährung mit Vitaminen, Mineralstoffen und anderen Stoffen wie sekundären Pflanzenstoffen. Dadurch leisten sie einen Beitrag zu einer gesunden und ausgewogenen Ernährung.
Fit, schlank und schön
Vom Megatrend Gesundheit und Selbstoptimierung profitiert auch die Kategorie Nahrungsergänzungsmittel. Worauf es beim Erfolg am Point of Sale ankommt und welche Konzepte gefragt sind. Ein Marktüberblick.
Es sind Nährstoffe in konzentrierter Form, die die Ernährung ergänzen sollen. Und sie werden von den Deutschen als gesundheitsförderlich wahrgenommen: Nahrungsergänzungsmittel (NEM) boomen. Die Nachfrage nach den Kapseln, Tabletten und Pulvern ist im vergangenen Jahr erneut gestiegen und hat ein Hoch von 165 Millionen verkauften Packungen erreicht. Die Marktforscher von QuintilesIMS haben auch die Absatzkanäle ausgewertet. Die am meisten genutzten Bezugsquellen sind Drogeriemärkte (36 %) und Offizin-Apotheken (34 %). 24 Prozent gehen im LEH über die Theke. Beim Umsatz liegt jedoch die Apotheke vorne. Sie beansprucht 67 Prozent des Kuchens für sich.
Im Sommer zählt die Schönheit …
Nahrungsergänzungsmittel werden ganzjährig gekauft. Allerdings haben jahreszeitbedingt immer andere Produkte Hochkonjunktur. Ob als Konsequenz zur kalorienreichen Weihnachtszeit, im Rahmen von guten Vorsätzen für das neue Jahr oder in Vorbereitung für die anstehende Bikini-Saison – nach dem Jahreswechsel ist den Verbrauchern das Aussehen wichtig. Zunächst werden deshalb Abnehmprodukte gekauft, im Frühjahr sind dann Produkte für Haut, Haare und Nägel mit Wirkstoffen wie Hyaluron, Zink, Biotin und Carotin gefragt. «Wenn mit den ersten warmen Tagen ab April die Freizeitaktivitäten starten, beginnt die Saison für Magnesium», erklärt Julien Tischer, Marketing Manager für den Bereich Functional Nutrition bei Taxofit. Auch Calcium sowie die Kombiprodukte Magnesium-Kalium und Magnesium-Calcium ziehen dann zweistellig an. Von der wiedererwachten Fitness-Begeisterung profitieren auch die Proteinriegel und diätetischen Lebensmittel von Layenberger, wie das Unternehmen verrät.
… im Winter die Gesundheit
Hochsaison aber haben Nahrungsergänzungsmittel im Winter. «Die Umsätze zwischen September und Februar liegen 19 Prozent über denen der Monate März bis August», erklärt Harald Lingner, Director Commercial Strategy bei Merz Consumer Care. Haupttreiber sei das Erkältungssegment, dessen Umsätze sich in dieser Zeit verdoppeln. Von der dunklen Jahreszeit profitierten ausserdem beruhigungs- und stimmungsaufhellende Produkte auf Basis von Johanniskraut und Baldrian sowie Präparate mit Vitamin D. Viele Verbraucher möchten dem Risiko einer Unterversorgung mit dem Sonnenvitamin entgegenwirken, da es nur mit genügend Licht in der Haut gebildet wird – im Winter kommt die Eigenbildung zum Erliegen. Dieser Ansatz ist sogar in grossem Massstab als Public-Health-Massnahme denkbar. Food Supplements Europe, die Interessenvertretung der europäischen NEM-Hersteller, haben ausrechnen lassen, dass eine breite Supplementierung mit Calcium und Vitamin D allein in Deutschland jährlich mehr als eine Milliarde Euro durch die Vermeidung von osteoporosebedingten Knochenbrüchen einsparen könnte. «Nahrungsergänzungsmittel können gesellschaftlichen Nutzen stiften. Obwohl die Nährstoffversorgung im Schnitt in Deutschland gut ist, gelingt es nachweislich nicht allen, ihren Nährstoffbedarf an Calcium und Vitamin D durch eine ausgewogene Ernährung zu decken», kommentiert Christoph Minhoff, BLL-Hauptgeschäftsführer. Sogar die Deutsche Gesellschaft für Ernährung legt besonderen Risikogruppen die Einnahme von Nahrungsergänzungsmittel ans Herz (siehe Tabelle).
NEM werden mobil
Die Hersteller arbeiten mit Hochdruck daran, ihre Produkte noch besser auf die Bedürfnisse ihrer Käufer anzupassen. Conveniente Darreichungsformen wie Trinkfläschchen oder Sticks beziehungsweise Sachets mit Granulaten ermöglichen einen Ausser-Haus-Konsum und sind speziell für die mobile Gesellschaft interessant. Taxofit hat Vitamin D3 in flüssiger Form auf den Markt gebracht, die sich individuell dosieren lassen. Zudem kommen immer mehr Wirkstoffe wie Vitamin D3, Magnesium, Selen Laktase oder Omega-3-Fettsäuren hochdosiert daher. Auf der anderen Seite sind sanfte und natürliche Wirkstoffe wie Flohsamen, Heilerden, Propolis oder Honig ein Trendthema.
Und in Zukunft? Harald Lingner kann sich eine Reihe spannender Innovationen vorstellen. «Dem ganzheitlichen Schönheitstrend folgend werden Produkte kommen, die eine Scharnierfunktion zwischen Kosmetik und Gesundheit einnehmen und von innen und von aussen wirken», sagt er. Darin würden beispielsweise topische Mittel aus dem Kosmetikbereich mit systemischen Produkten auf Basis von Hyaluron, Kollagen, Kieselerde und Biotin kombiniert. «Bei Erkältungsprodukten werden die Themen Abwehrstärkung und Vorbeugung relevanter. Allerdings suchen immer mehr Verbraucher nach sanften, aber trotzdem wirksamen Alternativen.» In einem ist er sich in jedem Fall sicher: «Schon jetzt bietet der Mass Market viele Produkte an, die auf Augenhöhe mit den Apothekenprodukten sind.»