Thomas Schindel
Wer entscheidet am Ende des Tages und vor allem was? Wer wird den Computer kontrollieren und wer die Kontrolleure?» – Mit diesen Fragen beschäftigt sich Prof. Dr. Holger H. Mey. Der Experte für sicherheitspolitische Herausforderungen betont: «Auch im Zeitalter der Digitalisierung müssen bestimmte Regeln eingehalten werden, sodass sich nicht die Rücksichtslosigkeit Einzelner durchsetzt und sich die Gemeinschaft unterwerfen muss.» Die Gefahr, wenn nur einige Wenige alles kontrollierten, sieht er in der Unberechenbarkeit des Menschen: «Niemals wurde Unmenschlicheres angerichtet als durch den Menschen selbst», erinnert er und nennt in diesem Zusammenhang Diktatoren aus der Geschichte wie Hitler, Stalin oder Pol Pot. Die Frage sei dementsprechend, wie wir unsere Gesellschaften organisieren, damit Freiheit und Sicherheit ausgewogen miteinander im Einklang stehen können. «Und in diesem Kontext muss auch Gerechtigkeit gelebt, geschützt und durchgesetzt werden», betont Mey. Um dies im Zeitalter der Digitalisierung zu gewährleisten, müsse man alle Institutionen der Gesellschaft überprüfen und sie neu aufstellen.
Das Wort «Freizeit» hat es früher nicht gegeben
Mit den Chancen für die Humanität im digitalen Transformationsprozess beschäftigt sich Prof. Dr. David Richard Precht. «Dadurch, dass wir in Zukunft weniger arbeiten und vor allem weniger Schwerstarbeiten verrichten müssen, erhalten wir ganz neue Möglichkeiten», erklärt der Philosoph. So könne mehr Freizeit zu einer Weiterentwicklung der Humanität führen – wenn jeder sie dazu nutze, sich um seine Tugenden zu kümmern. Die Befürchtung, der Mensch sehe ohne Arbeit keinen Sinn mehr im Leben, teilt er allerdings nicht. Dennoch ist sich Precht bewusst, dass es noch viele Herausforderungen auf dem Weg hin zu einer digitalen und gleichzeitig sozialen Gesellschaft zu bewältigen gibt. «Wir werden diskutieren müssen, wie viel Fortschritt wir eigentlich wollen, und wir werden die sozialen Sicherungssysteme komplett umstellen müssen; als Stichwort sei hier das bedingungslose Grundeinkommen genannt.»
In Zukunft zählt das Hybride
Zur Gelassenheit trotz des Wandels ermutigt wiederum der ehemalige Benediktiner- Mönch Anselm Bilgri. Generell, so findet er, werde die Geschwindigkeit des Wandels überschätzt. Innovation brauche Zeit, um breitflächig zu wirken. Vor diesem Hintergrund rät er, die Fülle des Neuen Schritt für Schritt abzuarbeiten, sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. «Das eine tun, das andere nicht lassen», lautet sein Rat, etwa für die Autoindustrie, die ihre Produkte bedroht sieht durch E-Mobilität und den Vermittler von Mitfahrgelegenheiten «Uber». Natürlich dürfe sie nicht nur an alten Erfolgen festhalten. Vielmehr solle sie diese weiterführen und weiterentwickeln. «Motoren werden wir immer brauchen, aber E-Mobilität ist die Zukunft.» Doch nicht nur bei der Industrie sieht Bilgri den Trend hin zum Hybriden, sondern auch in Bezug auf die Gesellschaft – als Gegentrend, als Reaktion auf die Digitalität. Dementsprechend setze man neuerdings wieder verstärkt auf «Dingliches ». «Etwa werden jetzt Lichtschalter designt, die ‹klick› machen», nennt Bilgri ein Beispiel, «regionale Lebensmittel stehen hoch im Kurs, Holz ebenfalls und Qualitätszeitungen, die schon lange totgesagt waren, erleben eine Renaissance.» Bilgri kommt zu dem Schluss: «Digitalität wird oft in falscher Weise übertrieben. Ohne Zweifel wird sie viele Branchen umformen. Doch sie ist weder der grosse Zerstörer noch Erlöser. Sie verändert einiges und deswegen erfordert sie neues Denken.»