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Verbraucher verändern ihr Kaufverhalten und shoppen zunehmend mobil, dies beobachten Retailexperten. Corona beschleunigt diese Entwicklung. Welche Handelskonzepte jetzt gefragt sind.
In Deutschland droht in den nächsten zehn Jahren nach einer Prognose des Kölner Instituts für Handelsforschung (IFH) ein weiteres grosses Ladensterben. Die Zahl der Unternehmen im stationären Einzelhandel werde sich durch geänderte Kaufgewohnheiten und den Siegeszug des Online-Handels bis zum Jahr 2030 nochmals um bis zu 64 000 verringern, die Zahl der Verkaufsstellen sogar um bis zu 80 000 sinken. Bereits seit 2005 ist nach Beobachtung des IFH die Zahl der Einzelhandelsunternehmen in Deutschland um 39 000 auf 226 000 gesunken. In den vergangenen Jahren hat das Ladensterben aber weiter an Dynamik zugenommen. Zu den Verlierern im Markt gehören vor allem die Modebranche, der Buchhandel und die Spielwarenläden, aber auch der Handel mit Wohnaccessoires. Bedroht sind dabei nicht nur kleine Einzelhändler, sondern auch Filialketten – und zwar selbst dann, wenn sie bereits im Online-Handel aktiv sind.
Handel neu interpretieren. Das Ladensterben setze dabei auch die Innenstädte deutlich unter Druck und verstärke den Verlust an Standortattraktivität, warnen die Handelsexperten. Die Schwierigkeiten des Handels hätten auch Auswirkungen auf die Gastronomie und die Freizeiteinrichtungen in den Stadtzentren. Noch immer sei Shoppen das wichtigste Motiv, in die Innenstadt zu kommen – ausgerechnet dieser Kundenmagnet verliere aber an Kraft. Hier müssten alle Beteiligten zusammenarbeiten, um die lokale Identität zu stärken und gemeinsam Besucher anzusprechen. «Wir müssen den Handel neu interpretieren als Teil der Freizeitgestaltung. Wir kämpfen mit Vereinsamung und dem Wunsch nach mehr menschlichen Kontakten. Das muss in moderne Handelskonzepte integriert werden», mahnt Boris Hedde, IFH-Geschäftsführer. Auf das Zeitalter der Perfektion von Prozessen rund um Beschaffung und Absatzoptimierung folgt nach seiner Darstellung im Handel ein neues Zeitalter, das die persönliche Nähe in den Fokus setzen muss.
Hintergrund für die dramatischen Entwicklungen im Einzelhandel ist ein verändertes Kaufverhalten: Laut HDE shoppen die Deutschen zunehmend mobil. Nach Schätzungen des Handelsverbandes wurden 54 Prozent aller Umsätze durch Online-Einkäufe im vergangenen Jahr von mobilen Endgeräten wie Smartphones oder Tablets getätigt. Dabei spielen auch Social-Media-Plattformen eine Rolle. Sie sorgen vermehrt für Kaufimpulse, vor allem bei den 14- bis 19-Jährigen. Social Media verändern den Online-Handel und die Anforderungen der Kunden nachhaltig. Bequemlichkeit und Schnelligkeit werden damit aus Sicht des HDE noch wichtiger. Die in der Branche als «Instant Shopping» bezeichneten Online-Käufe (auf Basis der ausserhalb von klassischen Online-Shops gesetzten Kaufimpulse) nehmen immer weiter zu.
Wachstum im Zeitraffer. Das von den IFH-Marktforschern prognostizierte Ladensterben im neuen Jahrzehnt hat eigentlich nichts mit der Corona-Pandemie zu tun, diese könnte aber dafür sorgen, dass das Online-Wachstum nun im Zeitraffer abläuft, so die Studie. Insgesamt hat sich das Wachstum des Online-Handels als Folge der Corona-Krise in diesem Jahr bereits deutlich beschleunigt, wie der aktuelle HDE Konsummonitor Corona zeigt: Pro Kauf wurde online 20 Prozent mehr ausgegeben. Stationär gingen die durchschnittlichen Ausgaben je Kauf dagegen um 10 Prozent zurück.
Eine Ausnahme bildet in diesem Szenario der stationäre Lebensmittelhandel mit seinem FMCG-Warenangebot. Er hat sich mit zweistelligem Wachstum als Profiteur der Krise erwiesen. Doch gewann daneben auch hier das Online-Foodgeschäft – auf allerdings noch sehr geringem Ausgangsniveau – stark hinzu. In einer Umfrage unter Online-Neukunden von IFH und Capgemini über die verschiedenen Handelssparten hinweg äusserte sich die Mehrheit der Neukunden, die durch Corona zum ersten Mal online einkauften, durchweg zufrieden mit ihren Erfahrungen, und zwar auch mit Blick auf die Produkte des täglichen Bedarfs. Positiv hervorgehoben wurden besonders die Lieferung ins Haus (75 %), die Unabhängigkeit von Ladenöffnungszeiten (63 %) und die grosse Auswahl (59 %), deutlich vor Vorteilen wie der geringeren Ansteckungsgefahr und maskenfreiem Einkauf. Online-Neulinge hätten den Online-Einkauf auch unabhängig von Corona schätzen gelernt, so eine Schlussfolgerung der Handelsforscher. Und daraus folge nahezu branchenübergreifend eine hohe Bereitschaft, die neuerdings online gekauften Produkte/Produktkategorien auch zukünftig wieder dort zu erwerben.
Für den Handel vor Ort gibt es aus Sicht des IFH nur eine Option: Er muss an einer besseren Verknüpfung seiner Geschäfte mit dem E-Commerce arbeiten – zum Beispiel über lokale Online-Marktplätze oder Click-and-Collect-Lösungen – und dabei das bequeme Einkaufen mit Regionalität und Nachhaltigkeit verbinden.