«Billig kommt leider oft teurer»

Freitag, 25. Juni 2021
Foto: Unternehmen

Seit 1992 verfolgt TransFair das Ziel, nachhaltige und gerechtere Handelsalternativen zu fördern und Kleinerzeuger in Entwicklungsländern zu stärken. Das Markant Magazin hat mit Dieter Overath darüber gesprochen, welchen Stellenwert fairer Handel heute hat.

Alles hat seinen Preis. Was meinen Sie?
Dieter Overath:
Ja. Die Frage, die sich hier stellt, lautet nur: Wer bezahlt?

Fairtrade Deutschland ist eine unabhängige Initiative zur Förderung des fairen Handels. Was ist fairer Handel überhaupt und wie funktioniert er?
Dieter Overath:
Der faire Handel will vor allem die Lebens- und Arbeitsbedingungen benachteiligter Menschen im globalen Süden verbessern. Dafür setzt Fairtrade zum einem auf den Fairtrade-Mindestpreis, der wie ein Sicherheitsnetz wirkt, um Marktschwankungen abzufedern. Er gibt Produzenten Planungssicherheit, die für Investitionen unabdingbar ist. Zum anderen wirkt die Fairtrade-Prämie, ein finanzieller Aufschlag für Projekte, von denen die lokale Bevölkerung profitiert. Ebenfalls wichtig: Die Organisationsstrukturen vor Ort müssen gestärkt werden. Daher arbeitet Fairtrade mit Kleinbauernkooperativen und Arbeitergremien zusammen, die basisdemokratisch über die Verwendung der jeweiligen Prämiengelder entscheiden. Es zeigt sich, dass gerade diese Netzwerke in einer Krise wie Corona die Resilienz der Betriebe deutlich stärken.

Was ist Ihre Vision von fairem Handel, wie weit ist sie heute schon Realität?
Dieter Overath:
Der faire Handel sollte die Norm sein. Der Philosoph Richard David Precht hatte einmal auf einer Fairtrade-Konferenz gesagt, eigentlich müsse es ein «Unfair-Label» geben – für Waren, die unter ausbeuterischen Bedingungen produziert werden.

Welche Meilensteine wollen Sie in der Zukunft erreichen?
Dieter Overath
: Wir haben uns vorgenommen, Absatz und Marktanteil von Fairtrade-Produkten Jahr für Jahr zu erhöhen. Das ist notwendig, damit mehr Prämiengelder in den Süden fliessen. Derzeit fliessen – neben den Rohstoffpreisen – rund 38 Millionen Euro Prämiengelder in die Anbauländer.

Die Individualisierung schreitet voran. Wie passen Fairtrade und dieses Verhalten zusammen?
Dieter Overath:
Ich glaube, dass das Thema soziale Gerechtigkeit und Menschenrechte auch ein individuelles Anliegen ist – und zwar bei vielen Menschen. Insofern passen wir bestens in die Landschaft.

Wie hoch ist die Markenbekanntheit von Fairtrade beziehungsweise von Fairtrade-Siegeln, und was unternehmen Sie, um diese zu erhöhen?
Dieter Overath:
Fairtrade ist eines der bekanntesten Nachhaltigkeitssiegel und hat eine gestützte Markenbekanntheit von 90 Prozent*. Auch das Markenvertrauen in Fairtrade ist überdurchschnittlich hoch und liegt bei rund 92 Prozent. Für die Steigerung der Bekanntheit setzen wir auf die Handelspartner und auf die Zivilgesellschaft, die unsere Kampagnen etwa zur «Sweet Revolution» (Fairtrade-Kakao) oder «Flower Power» (Fairtrade-Rosen) unterstützten. Es gibt aber auch bundesweit Fairtrade Towns, Fairtrade Universities und Fairtrade Schools, die sich zu den Prinzipien des fairen Handels bekennen und darüber informieren.

Wie profitiert der Handel von Fairtrade?
Dieter Overath:
Fairtrade ist nicht nur das bekannteste, sondern vor allem eines der anerkanntesten Nachhaltigkeitssiegel am Markt. Mit Fairtrade-Produkten im Regal dokumentiert der Handel: Wir kümmern uns um Themen wie Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit. Und er gibt den Konsumenten die Chance, dies ebenfalls zu tun – indem sie Fairtrade-Produkte kaufen können. Zudem unterstützt Fairtrade Handelspartner aktiv über seine Kommunikationskanäle und Kampagnen.

Entdecken die deutschen Verbraucher zunehmend ihr soziales Gewissen?
Dieter Overath:
Ein klares Ja! Erst recht, wenn man die nachwachsende Generation sieht. Diese Konsumenten erkennen Versuche des Greenwashing sehr schnell, und sie wissen: Billig und gleichzeitig nachhaltig geht nicht.

In welchen Bereichen gibt es noch keine Fairtrade-Produkte?
Dieter Overath:
Wir sehen zum Beispiel bei Nüssen noch viel Potenzial. Sie kommen zumeist aus Afrika und werden dort oft unter desolaten Bedingungen angebaut. Bei Textilien gibt es auch viele Entwicklungsmöglichkeiten, der Trend geht ja hin zu weniger Konsum und dafür fairen Produktionsbedingungen.

Wie lässt sich der Absatz von Fairtrade-Produkten am POS weiter ankurbeln? Welche Massnahmen sind hierfür notwendig?
Dieter Overath:
LEH-Kunden sind gegenüber nachhaltigen Produkten sehr aufgeschlossen, daher funktionieren Zweitplatzierungen und POS-Promotions für Fairtrade-Produkte auch sehr gut. Wir sind ganzjährig mit eigenen Promotion-Teams beispielsweise zu unserer POS-Aktion «Faires Frühstück» oder «Faire Woche» unterwegs, um Verbraucher über den fairen Handel zu informieren und den Abverkauf der Produkte zu unterstützen. Auch die Bewerbungen der Produkte in den Handzetteln der Handelspartner führen regelmässig zu deutlichen Abverkaufssteigerungen.

Das Fairtrade-Siegel wird von Kritikern als zu teuer, zu intransparent und zu kompliziert bezeichnet. Was meinen Sie?
Dieter Overath:
Damit das Siegel das einhält, was es verspricht, muss genau vor Ort verifiziert werden, ob die Produzenten auch die vorgegebenen Bedingungen einhalten. Darum kümmert sich die Zertifizierungsorganisation Flocert. Dieser Prozess geht nicht ohne einen gewissen Aufwand, garantiert dafür aber die höchstmögliche Transparenz. Dass das Siegel zu teuer und kompliziert sei, erscheint mir, ehrlich gesagt, als eine Ausrede.

Für Produkte mit dem Fairtrade-Siegel zahlen Verbraucher mehr als für vergleichbare konventionelle Produkte, teils sogar deutlich mehr. Muss Nachhaltigkeit denn teuer sein?
Dieter Overath:
Das stimmt nicht immer, denn Fairtrade-Produkte gibt es in allen Preissegmenten. Gleichwohl kommt billig leider oft teurer, wenn man sich die Folgekosten für Umwelt und für die Menschen ansieht. Wer existenzsichernde Einkommen erreichen will, kann nun mal nicht auf Schnäppchen setzen. Allerdings werden auch nachhaltige Produkte in Relation günstiger, je mehr sie gekauft werden.

Wie machen Sie es transparent, dass der gezahlte Mehrpreis in gleicher Höhe bei den Produzenten ankommt?
Dieter Overath:
Wenn ein Produkt mit dem Fairtrade-Siegel im Regal steht, ist der Mehrpreis längst beim Produzenten angekommen. Denn Fairtrade-Mindestpreis und -Prämie werden bereits beim Kauf der Rohware gezahlt. Dafür stehen das Siegel und die Zertifizierungsmechanismen dahinter.

 

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Steckbrief

Zur Person
Seit der Gründung des gemeinnützigen Vereins 1992 ist Dieter Overath Geschäftsführer von TransFair e.V. Er wirkte massgeblich am Aufbau der nationalen Siegelinitiative mit und engagierte sich stark für die Internationalisierung der Fairtrade-Bewegung. Aktuell ist der 66-Jährige im globalen Leitungsteam von Fairtrade aktiv. Ferner ist er seit 1979 aktives Mitglied bei amnes-ty international und war für vier Jahre (1988–1992) Mitglied im Bundesvorstand und zuständig für Öffentlichkeitsarbeit und Kampagnen. Seine grosse Leidenschaft ist das Theater: Er ist seit acht Jahren Mitglied des Hope Theater Nairobi. Overath ist verheiratet und Vater von zwei Töchtern.