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Noch sind nur wenige Verbraucher bereit, für höhere Tierwohlstandards mehr zu bezahlen. Der deutsche Lebensmittelhandel treibt die Entwicklung jetzt mit einem eigenen Label voran.
Tierwohl ist einer der grossen Trends, wenn es um Ernährung geht. Das bestätigen die Verbraucher immer wieder in Umfragen. Im «Ernährungsreport 2019» des Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) geben 86 Prozent der Befragten an, dass sie bei Produkten tierischen Ursprungs vor allem wissen möchten, wie die Tiere gehalten wurden. Eine grosse Mehrheit (81 %) wünscht sich dafür ein unabhängiges Tierwohlkennzeichen.
Beim tatsächlichen Einkauf aber verhalten sich die Konsumenten ganz anders. Die grosse Mehrheit ist und bleibt an der Ladentheke preissensibel, lässt Fleisch mit Tierwohl-Siegeln links liegen und kauft das billigere Standardprodukt. Das zeigt eine Untersuchung der Hochschule Osnabrück in 18 Super- und Discountmärkten. In einer Befragung am Checkout dieser Märkte sagte die Mehrheit der Kunden mit Fleisch im Einkaufswagen, dass ihnen Tierwohl sehr wichtig sei. Tatsächlich gekauft hatten aber nur 16 Prozent einen Artikel mit Tierwohl-Kennzeichnung. Zur Auswahl standen Bratwurst, Minutensteak und Gulasch aus Schweinefleisch.
Bauern und Händler liefern
Wie die Studie im Detail zeigt, akzeptierten die Kunden lediglich Preisaufschläge von maximal 13 Prozent für einen Tierwohl-Artikel. Bei merklich höheren Aufschlägen – zum Beispiel 26 Prozent für Gulasch – gingen die Absätze deutlich zurück. «Die Ergebnisse haben uns überrascht», kommentiert Studienleiter Prof. Dr. Ulrich Enneking von der Hochschule Osnabrück. «Die grundsätzliche Bereitschaft, im Test mehr Geld für solches Fleisch auszugeben, ist nur bedingt ausgeprägt.» Der Professor für Agrarmarketing verweist in diesem Zusammenhang auf die Komplexität der Thematik. Enneking: «Man muss die Bereitschaft, Aufpreise zu zahlen, sehr differenziert betrachten, da immer zahlreiche Faktoren wie zum Beispiel die Kaufkraft oder das Produkt einen Einfluss auf das Kaufverhalten haben.»
Immerhin: 16 Prozent Kaufanteil im mittelpreisigen Segment sind eine solide Basis für die Weiterentwicklung der noch jungen Tierwohlprogramme. Um die Verbraucher in der Breite anzusprechen, will die Bundesregierung im kommenden Jahr 2020 eine staatliche Tierwohlkennzeichnung einführen.
Solange will der deutsche LEH nicht warten und bringt seit April 2019 verpackte Tierwohlprodukte mit einer inhaltlich und optisch einheitlichen Kennzeichnung unter dem Begriff «Haltungsform» auf den Markt, hinter der auch Fleischwirtschaft und Bauernverband stehen. «Dies war ein wichtiger gemeinsamer Schritt, um eine bessere Vergleichbarkeit für den Verbraucher zu schaffen», sagt Stefan Rauschen, Einkaufsleiter Frische bei Kaufland Deutschland.
Die «Haltungsform» sei auch bereits so konzipiert, dass sie grundsätzlich vereinbar ist mit der geplanten staatlichen Tierwohlkennzeichnung. Sie zeigt, nach welchen Standards die Tiere gehalten wurden und ordnet diese in ein vierstufiges System ein (s. Info). Kaufland plant langfristig, die Stufe 2 «Stallhaltung Plus» als Mindeststandard zu etablieren. Rauschen: «Durch die bessere Transparenz können Kunden noch einfacher als bisher durch ihre Nachfrage über Haltungsbedingungen mitentscheiden.»