Unklare Zukunft der City

Donnerstag, 01. Februar 2018
Fotolia (Melinda Armbruester-Seybert)

Wachsender Onlinehandel, steigende Kosten im stationären Handel und andere Faktoren könnten zur Verödung vieler Innenstädte führen, warnen Experten. Sie sehen aber auch neue Chancen für den Handel in der City.

Seit etwa 15 Jahren wird über die Auswirkungen des Online-Handels diskutiert, zuerst als „Ablösung“ des klassischen Versandhandels, dann in Bezug auf einzelne, besonders online-affine Branchen wie Bücher und Elektrogeräte. Mittlerweile setzt sich die Einschätzung durch, dass der Trend zum Online-Handel eine weit größere Dynamik entfalten könnte – mit sehr vielschichtigen Auswirkungen auf Stadt und Raum. Zu den Folgen zählen beispielsweise der zunehmende Leerstand in klassischen Geschäftsstrassen, aber auch immer kürzere Nutzungszyklen von Handelsimmobilien, die Verödung öffentlicher Räume oder die Verschlechterung der Versorgungssituation in Teilräumen.

Selbst bei einem abgeschwächten Online-Wachstum gerät der stationäre Handel aufgrund eines insgesamt sinkenden Umsatzpotenzials unter Druck. Bei stark zunehmenden Online-Umsätzen sind sogar "«relativ grosse Auswirkungen auf den Einzelhandel insgesamt sowie auf die Innenstadt- und Nahversorgungsstandorte, und zwar in Form von Standortschliessungen zu erwarten». Dies ist die Kernbotschaft der umfangreichen Studie «Online-Handel – mögliche räumliche Auswirkungen auf Innenstädte, Stadtteil- und Ortszentren», die die BBE Handelsberatung, elaboratum New Commerce Consulting und das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) erstellt haben.

Standortschliessungen sicher

Grossstädte wie Berlin, Frankfurt und Hamburg werden vom Sterben des stationären Handels weniger betroffen sein. Mittel- und Kleinstädte sind hingegen zunehmend von Leerstand bedroht. Da zudem die Kosten im Einzelhandel steigen, wären insbesondere für weniger widerstandsfähige und ohnehin finanzschwache inhabergeführte Geschäfte innerhalb weniger Jahre massive Probleme zu erwarten. Dadurch würden sich auch die Spielräume für Investitionen in Online-Auftritt und Digitalisierung reduzieren, heisst es weiter. 

«Besonders die Top-7-Städte bestechen durch urbane Erlebnisqualität und bleiben attraktive Handelsstandorte. 1-A-Lagen sind weiter interessant, und die Nachfrage nach Flächen bleibt bestehen. Zudem drängen sich immer mehr Global Player oder neue Formate in gut frequentierte Handelszentren, wodurch weitere, wenn auch moderate Mietanstiege die Folge sind», sagt Joachim Stumpf, Geschäftsführer der BBE Handelsberatung. «Dafür bröckelt es selbst in einigen 1-A-Lagen der weniger attraktiven Gross- und Mittelstädte, in einigen Stadtteillagen und in unprofilierten Shopping-Centern», so Stumpf weiter. Und auch die «Grüne Wiese» verliere an Bedeutung.

Kleinere Ladenflächen benötigt

Es gibt aber bereits Anzeichen, dass viele der stationären Händler Gegenmassnahmen ergreifen und dass auch die anderen Beteiligten – Stadtverwaltungen und Vermieter – ihrerseits aktiv werden. So arbeiten im Rahmen von Cross-Channel-Konzepten sowohl Hersteller als auch Händler daran, im Verkaufsraum lediglich Repräsentanten des Sortiments zu zeigen. Varianten werden nach Auswahl vor Ort erst bei der konkreten Bestellung geliefert. Dadurch wird entweder weniger Handelsfläche oder es werden andere Flächenkonzepte und -zuschnitte benötigt. «Fläche wird teilweise durch Information und Technologie substituiert», bestätigt Prof. Dr. Klaus Gutknecht, Gründer und Partner der elaboratum GmbH New Commerce Consulting Gutknecht diese Entwicklung. Ebenso ist vermehrt zu beobachten, dass bislang reine Online-Händler stationäre Geschäfte aufbauen. Prinzipiell bieten das Internet und der Online-Handel Unternehmen viele Chancen, sich auch mit Nischenkonzepten einen grösseren Kundenkreis zu erschließen. «Die Digitalisierung ist nicht Ursache, sondern Katalysator der Veränderungen», heisst es in der Studie.

Joachim Stumpf plädiert dafür, dass die Händler und Städte digital sichtbar werden, da sich etwa die Hälfte der Verbraucher vor dem stationären Einkauf im Internet informiert. «Es ein Zusammenspiel aller Beteiligten einer Stadt, also des Handels, der Kommune, der Gastronomie, Dienstleister und Immobilieneigentümer notwendig, um den Mehrwert des stationären Handels zu bewahren», fordert Stumpf.

Multichannel angesagt

Wie auch immer die digitale Aufrüstung der Cities im Detail aussieht: Die Händler müssen die Kunden «dort abholen, wo sie gerade einkaufen wollen: egal, ob beim Einkaufsbummel in der Innenstadt, mit dem Tablet auf der Couch oder per Smartphone». Somit geht es in der Bedienung der Kanäle nicht um «online gegen offline», sondern um «online plus offline». Die Zukunft liegt – nach Meinung vieler für die Studie befragten Experten – eindeutig in der intelligenten Verknüpfung von Online- und Offline-Handel – nämlich dem Multichannel-Handel. Einigkeit besteht auch darin, dass Multichannel-Leistungen durchdacht sein müssen, einfach nur online gehen ist keine ausreichende Strategie. Die meisten kleineren Händler können die Kosten für einen professionellen Multichannel-Marktauftritt nicht tragen. Sie können aber versuchen, den Online-Vertrieb über eine bekannte Plattform wie Amazon oder eBay abzuwickeln, sich zu diesem Zweck an speziell für den Einzelhandel geschaffene Fulfillment-Plattformen von Versanddienstleistern wenden oder entstehende Online-Stadtportale nutzen. Die Akzeptanz bei Konsumenten könne allerdings noch nicht umfassend beurteilt werden, räumen die Autoren der Studie ein. Eine weitere Alternative und derzeit in der Erprobung sind lokale Online-Plattformen unterschiedlicher Art, wie das Projekt «Online City Wupperta», ebay Mönchengladbach oder – als Beispiele für kleinere Städte – das virtuelle Schaufenster in Güstrow sowie die «Digitale Innenstadt Diepholz» von eBay/HDE.

Noch etwas anderes spricht für die Zukunft der City – nämlich die demografische Entwicklung. Die Bevölkerung kehrt in die Zentren zurück, erhöht die Attraktivität für Investoren und führt so zum Neubau von Wohngebäuden in innerstädtischen Lagen. Besonders interessant sind Projekte, in denen neue Verzahnungen von Handel und Wohnen im Gebäude realisiert werden, abseits der üblichen Ladenlokale im Erdge-schoss. So werden zum Beispiel Wohnungen in den Obergeschossen von Shoppingcentern angeboten. Supermärkte und Discounter werden wieder zu Sockelnutzern von Wohngebäuden anstatt eingeschossige Flachbauten zu beziehen. Eine solche Reintegration bedarf aber nach Ansicht der Studienautoren «starker städtischer Impulse, denn die Immobilienentwickler scheuen meist gemischt genutzte Immobilien».

Vermieter in der Pflicht

Gleichwohl sind Städte und Gemeinden sehr aktiv, um die Rahmenbedingungen für attraktive Innenstädte und Stadtteilzentren positiv zu gestalten. Dies bestätigen Ergebnisse einer Umfrage des Deutschen Städtetages unter seinen Mitgliedsstädten zum Thema, die für die Studie ausgewertet wurden. Die Handlungsansätze reichen von der Erarbeitung eines Einzelhandels- und Zentrenkonzepts über eine Vielzahl von Marketingaktivitäten bis hin zur Unterstützung alternativer Shop-Konzepte. Eine Mehrzahl der Ansätze setzt dabei auf Kooperation zwischen den für Innenstadt-/Stadtentwicklung relevanten Akteuren, bezieht also auch die Einzelhändler, Immobilieneigentümer und andere ein.

Nicht zuletzt stehen auch die Vermieter in der Pflicht. Eine Kostenentlastung könnte die breitere Einführung umsatzbezogener Mieten eröffnen. Daraus ergibt sich für den Handel die Chance, auch bei rückläufigen Umsätzen das Geschäft nicht aufgeben zu müssen, da dann auch ein Teil der Fixkosten sinkt. 

News

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Info

Konzepte für die City der Zukunft

Gemeinsame Lieferservices
Neben dem Rückgriff auf Logistikdienstleister aller Art (z.B. Fahrradkurier) können auch eigene Lieferdienste organisiert werden. Ein gemeinsamer Lieferdienst der innerstädtischen Händler kann gegenüber dem Lieferdienst eines Einzelunternehmens zu besserer Wahrnehmbarkeit, effizienterem Marketing und höherer Auslastung führen.

Service und Bequemlichkeit
Neben einem Online-Shop, Cross-Channel und Lieferdiensten bieten sich dem stationären Handel weitere Möglichkeiten, die Bequemlichkeit des Einkaufs für den Kunden zu erhöhen. Ein wesentliches Kriterium bei allen Massnahmen sind einfache Regelungen wie einheitliche Öffnungszeiten, gemeinsames WLAN am Standort. Der stationäre Einzelhandel kann dem Kunden auch grosszügige Umtauschregelungen anzubieten, um im Sinne der Risikoreduktion mit dem Online-Handel gleichzuziehen.

Virtuelle Regalverlängerung
Mit einer virtuellen Regalverlängerung können stationäre Händler ihr Sortiment erweitern. Dies bietet sich besonders in Kombination mit einem Online-Shop an – ein solcher ist dafür aber technisch nicht erforderlich. Nachdem der Kunde im Shop eine Vorauswahl getroffen hat, kann aus dem Lager in Echtzeit eine grosse Zahl an Varianten geholt werden. Der Bedarf an teurer Fläche sinkt, weil es deutlich effizienter ist, die Ware im Lager vorzuhalten. Wenn der Händler einen Online-Shop unterhält, sind die Investitionen grösstenteils bereits erfolgt.

 

Interview

Joachim Stumpf, Geschäftsführer der BBE Handelsberatung, sieht Händler, Kommunen und Vermieter gleichermassen in der Pflicht, wenn es um die Zukunft der City geht.

Herr Stumpf, wo können und müssen die Händler selber ansetzen, um die City attraktiv zu halten?
Ganz oben auf der To-do-Liste steht die Konzentration auf die eigene Stärken. Jedes Mittelmass verbietet sich. Also keine Lippenbekenntnisse bei Beratung und Service, sondern volle Leistung. Weitere Ansatzpunkte sind die Beteiligung an Regionalmarketing und regionalen Pattformen sowie die Kooperation mit der Stadtverwaltung bei Leerstandsmanagement und Nachvermietungen.

Wie beurteilen Sie das Potenzial der City für den Lebensmittelhandel?
Es steigt aufgrund eines klaren Trends zu mehr Nähe zum Verbraucher. Alle grossen Marktteilnehmer haben kleine Konzepte für Stadtteillagen in Grossstädten, schwieriger ist es in kleineren Städten.

Wächst die Bereitschaft der Vermieter, mit neuen Mietmodellen die Profitabilität der Geschäfte zu erhalten?
Vielen Vermietern ist die Situation des stationären Handels und vor allem die Wirkung von einzelnen Vermietungen auf die Gesamtattraktivität noch nicht klar. Es findet zu wenig Austausch zwischen Immobilieneigentümern, Kommune und Stadtmarketing statt. Interessant sind Forschungsansätze für Modelle, die alle Eigentümer wirtschaftlich motivieren sollen, die Entscheidungsgewalt über ihre Flächen und damit die Gestaltung des Branchenmixes an eine zentrale Stelle zu geben. Momentan zählt fast nur das egoistische Einzelinteresse. Das ist eben auch der grosse Unterschied zum zentral gemanagten Shopping-Center.

 

Trend

Quo vadis, Online-Handel? 

Der Online-Handel wächst weiter. In einigen Kategorien (z.B. Unterhaltungselektronik, Bücher) ist die Wachstumsdynamik geringer geworden, in anderen Warengruppen (z.B. Heimwerkerbedarf, Auto-zubehör) beginnt das Wachstum gerade erst. Einige Experten sehen den «Goldrausch im Online-Handel» bereits zu Ende gehen. Im Buchhandel wird beispielsweise beobachtet, dass mit neuen Ladenkonzepten Kunden zurückgewonnen werden. Eine Reihe bislang reiner Online-Händler plant stationäre Ladengeschäfte. Weitgehend offen ist die Frage, wie sich der Online-Einkauf von Lebensmitteln entwickeln wird. Die Erwartungen reichen von „in den nächsten Jahren nur eine sehr geringe Bedeutung» bis hin zur Annahme, dass – je nach Bevölkerungsgruppe – 30 bis über 60 Prozent ihre Lebensmittel online erwerben werden. Prognosen zur weiteren Entwicklung des Online-Handels sind schwierig. Je nach Branche werden die Entwicklungen sehr unterschiedlich verlaufen.

Quelle: «Online-Handel – mögliche räumliche Auswirkungen auf Innenstädte, Stadtteil- und Ortszentren»