Neue virtuelle Realitäten

Dienstag, 14. April 2020
Foto: Adobe Stock (artiemedvedev)

Die Verbraucher suchen immer intensivere, realitätsnahe Erfahrungen beim Einkauf. Die Lösung dafür sehen Marktforscher auch in digitalen Technologien am Point of Sale.

In einer weltweiten Umfrage Ende 2019 sagten fast zwei Drittel (64 %) der Befragten, dass ihr Leben geschäftiger und komplexer sei als noch vor zwei Jahren. Daher finden viele Verbraucher Technologien hilfreich, die zur Vereinfachung ihres hektischen Alltags beitragen. Die von Nielsen durchgeführte Studie liefert auch Erkenntnisse, welche Technologien das konkret sind: Übereinstimmend nennen die Verbraucher weltweit Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR) als die Spitzentechnologien, die sie zur Unterstützung, Verstärkung und Erweiterung ihres täglichen Lebens suchen. Mehr als die Hälfte von ihnen (51 %) gibt zum Beispiel als ­konkret gewünschte Anwendung die ­digitale Hilfe bei der Bewertung von ­Produkten an – online wie auch stationär am Point of Sale.

Gesteigerte Einkaufserlebnisse

AR und VR sind auch für Nielsen nach Auswertung der Umfrage zwei Schlüsseltechnologien, die die Zukunft des Einkaufs massgeblich verändern werden. In ersten Ansätzen können Konsumenten am Point of Sale bereits Erfahrungen damit machen – und sie sind auch offen dafür. Beispielsweise bieten AR-Apps zur Navigation im Laden oder für Produktinformationen ein gesteigertes Einkaufserlebnis, bei dem laut Nielsen «die physische und digitale Umgebung verschwimmen». Stationäre AR-Geräte oder Apps liefern relevante Zusatzinformationen zum Produkt wie Kunden- oder Expertenbewertungen, Rezepte oder Allergikerhinweise. Auch dem Nonfood-Handel eröffnen AR-Anwendungen vielfältige Möglichkeiten, stationär und online. So lassen sich Möbel und andere Einrichtungsgegenstände massgenau probeweise in den eigenen vier Wänden platzieren. Oder: In der Textilabteilung können sich Kunden auf Augmented-Reality-Displays die Kleidung von einem virtuellen Modell vorführen lassen.

Die technisch anspruchsvollere VR-Technologie kommt beispielsweise bei sogenannten «Virtual Shops» zum Einsatz. Der Kunde besucht mithilfe einer speziellen VR-Brille einen virtuellen Shop und erlebt dort die Präsentation eines Warenangebotes wie im realen Warenhaus. Solche Daten-Brillen gibt es auch für die private Nutzung, etwa für Computerspiele oder eben auch für virtuelle Einkaufserlebnisse, wenn der Online-Shop solche Dienste anbietet.

Risikofreie Shopping-Tour

43 Prozent der von Nielsen Befragten weltweit zeigen sich bereit dafür, solche digitalen Angebote im Geschäft zu nutzen. «Dies weist den Weg für eine weitere Verbreitung», sagen die Autoren der Studie, ergänzen aber: «Um den physischen Laden erfolgreich in einen virtuellen Spielplatz zu verwandeln, müssen Spass und Funktion miteinander kombiniert werden.» Nach ihrer Ansicht verändert sich das Online-Shopping ebenfalls, wenn die Verbraucher Produkte zu Hause oder unterwegs virtuell ausprobieren können. Solche risikofreien «Try-before-you-buy»-Szenarien sind vor allem beim Kauf neuer oder unbekannter Produkte relevant. Eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die AR- und VR-Store-Technologien breite Akzeptanz finden, ist, dass die Verbraucher damit Zeit sparen und Nutzen gewinnen. Um erfolgreich zu sein, müssen Unternehmen – Händler wie Hersteller – ihre Werbung und Produktempfehlungen so personalisieren, dass diese für den Konsumenten relevant sind. Es sind Verbraucherdaten erforderlich, die in Verbindung mit der Technologie die gewünschten Erlebniswelten schaffen. Dazu sagt John Tavolieri,­ Chief Product & Technology ­Officer bei Nielsen Global Connect: «Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen werden eine intelligentere Dateninterpretation vorantreiben, die es Unternehmen ermöglicht, Produkte und Angebote auf Grundlage der Gewohnheiten und Vorlieben der Käufer zu personalisieren, vorherzusagen und zu empfehlen.» Weltweit sind die Verbraucher offen für technisch unterstützte Werbung und personalisierte Empfehlungen, um ihre Kaufentscheidungen zu treffen. Es ist laut Studie 1,7-mal wahrscheinlicher, dass individualisierte Inhalte gegenüber nicht individualisierten Inhalten den Umsatz steigern.

Viele treibende Faktoren

Darüber hinaus werden eine Reihe weiterer ergänzender Technologien entwickelt und in Bereichen wie Abwicklung der Bestell- und Zahlungsprozesse, Auslieferung, Zustellung und Retouren pilotiert. Das Spektrum reicht von Zahlungssystemen über personalisierte Tourenmanagement- und Zustell-Lösungen bis hin zu Robotern in Lagern, Logistik und Verkaufsräumen. Unternehmen müssen auch hier wachsam sein und be­obachten, wie die Verbraucher solche Technologien nutzen, weil das beim Einkauf die Entscheidung für diesen oder jenen Händler ebenfalls beeinflusst. Nielsen unterstreicht, dass der Weg zur Akzeptanz der Technologie keineswegs einfach ist und nicht allein vom Zugang zu ihr und der Bereitschaft der Verbraucher abhängt. Als Beschleuniger wirken vor allem die Einbeziehung und Beteiligung der Verbraucher sowie die Schaffung von Transparenz und Vertrauen. Aber auch Faktoren wie Infrastruktur (z. B. schnelle Datennetze per Glasfaser oder 5G), Kosten und Gesetzgebung (z. B. beim Datenschutz) beeinflussen die Entwicklung einer Technologie.

In naher Zukunft, so die Einschätzung der Marktforscher, birgt die AR- und VR-Technologie das grösste Potenzial für die Erweiterung der Consumer Journey. Unternehmen werden in der Lage sein, den realen Zugang zu den Verbrauchern online, im Geschäft, unterwegs, in Echtzeit und in neuen Märkten, in denen sie möglicherweise nicht physisch präsent sind, zu erweitern. Die erfolgreiche Bereitstellung eines wirklich erweiterten Verbrauchererlebnisses wird laut Studie jedoch «von der Fähigkeit der Unternehmen abhängen, sich in die Masse der Daten zu vertiefen, um personalisierte Lösungen zu erstellen, sowie von ihren Bemühungen, persönliche Daten zu schützen und zu respektieren.»

News

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Vom 24. bis 25. April findet das 125. Markant Handelsforum statt. Zu erwarten sind neben zeitaktuellen Vorträgen und Innovationen für den POS auch ein praxisnaher Austausch.

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Tegut hat das Jahr 2023 mit einem Nettoumsatz von 1,28 Milliarden Euro abgeschlossen und damit das Ergebnis des Vorjahres um 2,44 Prozent übertroffen.

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In Österreich können biologische Lebensmittel trotz allgemeiner Teuerungen auf treue Verbraucher zählen.

Info

Interaktiver Konsum und neue Erlebnisse
Europäische Verbraucher bewegen sich weg vom passiven Konsum hin zu mehr Interaktion mit Herstellern und Händlern. Das hat Nielsen in verschiedenen Untersuchungen festgestellt. Der Konsum wird im kommenden Jahrzehnt geprägt sein von interaktiver Beteiligung. Auch der zunehmend komplett selbstbediente «reibungslose» Einkauf in «frictionless Stores» wird den Einzelhandel verändern. Von Shops mit kassenloser Bezahlung bis hin zu automatisierten Warenhäusern in Stadtzentren: Die Zukunft liegt laut Nielsen «in der Verschmelzung des gesamten Verbrauchererlebnisses mit intelligenter, intuitiver Technologie». Dabei erfahren die Verbraucher möglichst wenig Hürden auf ihrer Einkaufstour, die das Entdecken von Produkten, deren Bewertung, den Einkauf und das Bezahlen umfasst. Nielsen: «Geschwindigkeit und Bequemlichkeit werden das Verhalten bestimmen – und jede Millisekunde weniger ist ein gewonnener Kampf.»

Augmented & Virtual Reality
Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR) erobern unseren Alltag. Während die Virtual Reality eine künstliche, computergenerierte Umgebung schafft, die in speziellen VR-Brillen angezeigt wird, reichert die Augmented Reality die Umgebung im Blickfeld des Nutzers mit virtuellen Inhalten an. Ein AR-Erlebnis ist daher nicht nur mit speziellen Brillen, sondern auch mit Smartphones und ­Tablets möglich.

Bereits heute werden VR und AR vielfältig eingesetzt. Virtual Reality erzeugt neue Erlebnisse bei Computerspielen und Produktvorführungen. Sie hilft bei Konstruktion und Design, lässt geplante Urlaubsziele schon vor der Reise begutachten und unterstützt bei Schulungen und in der Ausbildung. Augmented Reality liefert Ärzten, Piloten, Logistikern und Autofahrern ablenkungsfrei Informationen und gibt Reisenden Hinweise zu Sehenswürdigkeiten. Sie platziert aber auch virtuelle Objekte in realen Räumen – zum Beispiel Möbel bei der Einrichtungsplanung.

Quelle: Bitkom, der Digitalverband Deutschlands